Es ist nur folgerichtig, dass Thomas Aziers zweites Album, “Rouge”,
einen französischen Titel bekommen hat. Dafür sollte man wissen, dass
der 29-jährige niederländische Künstler sich nach fast einem Jahrzehnt
in Berlin nun in Paris niedergelassen hat, was sicherlich auch etwas mit
dem Erfolg seines ersten Albums Hylas in
Frankreich zu tun hat. Außerdem ist der Einfluss großer französischer
Künstler und Songwriter, ganz im Gegensatz zum Debüt, in vielen Songs
des neuen Albums offenkundig.
Dementsprechend ist “Rouge” ein Album von außergewöhnlicher Integrität, das zugleich einen substantiellen Fortschritt in Aziers Entwicklung darstellt. Innerhalb von wenigen Sekunden wird bereits der Unterschied zum Vorgänger deutlich: Aziers
Piano steht hier direkt im Mittelpunkt und bleibt im Laufe des Albums
ein zentrales Element (und dementsprechend ein roter Faden), während die
unterkühlte Patina des fast ausschließlich elektronischen Albums Hylas eher wie eine entfernte Erinnerung wirkt. Natürlich wird auf “Rouge” nicht vollkommen auf digitale Technologie verzichtet, doch von dem delikaten, nahezu zärtlichen Opener „Concubine“ über das hymnische „Gold“ und das herzergreifende „Call“ bis zum melancholischen Finale „Babylon“
macht sich ein ganz anderer künstlerischer Ansatz deutlich bemerkbar.
Man könnte sagen, dass hier die elfenbeinfarbenen Tasten des Klaviers
aus den 1920ern auf die Plastiktastatur seines Laptops treffen. Für Azier hat der neue Ansatz eine ganz einfache Ursache: „Gutes Songwriting ist zeitlos und ich wollte, dass sich hier alles um die Songs dreht.“
Wenn man sich “Rouge” anhört, wird man eine Reihe solcher ‘Boom!’-Momente, wie es der Künstler nennt, erleben können. Offensichtlich fühlt sich Thomas Azier
quicklebendig. Was aber noch wichtiger ist: In seinem Bemühen, das
Künstliche vom Echten zu trennen, hat er den roten Faden gefunden, den
vielleicht jeder Künstler sucht: eine wahrhaft eigene Ausdrucksform… |