Nach einem Jahrzehnt im Musicaltheater und einem weiteren in Kino und
Fernsehen kann sich der walisische Schauspieler Luke Evans endlich
wieder seiner ersten großen Liebe widmen: dem Gesang.
„Wer sich ein wenig mit meiner Vergangenheit beschäftigt hat weiß, dass
alles mit dem Singen begonnen hat.“, sagt Evans, der als Teenager am
Musical College in Cardiff von Charlotte Churchs Gesangslehrerin
unterrichtet wurde und anschließend ein Stipendium des London Studio
Centres erhielt.
Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, erhielt er bald die ersten
Engagements im Londoner West End und war in Musicals wie „Taboo“,
„Rent“, „Miss Saigon“ und „Avenue Q“ zu sehen. Später wechselte er von
den Theaterbrettern zur Leinwand und spielte in zahlreichen
Hollywood-Produktionen mit, darunter „Sex, Drugs & Rock’n’Roll,
„Clash Of The Titans“, „Die drei Musketiere“, „Fast & Furious,
„Dracula Untold“, „Der Hobbit“ und der Disney Spielfilm-Adaption „Beauty
And The Beast“. In letzterer konnte er erneut sein Gesangstalent in der
Rolle des „Gaston“ unter Beweis stellen.
Dennoch… „Ich habe immer davon geträumt, ein Soloalbum aufzunehmen, auf
dem nur meine Stimme zu hören ist.“, gesteht Evans. „Als Musikstudent
hat das nicht geklappt, doch mit den Filmen wurde ich einem breiteren
Publikum bekannt. Und dann kam ‚Beauty And The Beast‘. Außerdem sang ich
im letzten Jahr in der Royal Albert Hall zusammen mit Kylie Minogue,
Jamie Collum, Sir Tom Jones und Sting anlässlich des Geburtstags der
Königin. Viele Leute wurden plötzlich hellhörig und sagten ‚Wow, der
kann ja wirklich singen!‘“
Evans sollte sich besser an diese enthusiastischen Reaktionen gewöhnen,
denn endlich hat er seinen Traum verwirklicht und veröffentlicht im
November 2019 sein erstes Soloalbum mit zwölf atemberaubenden
Coverversionen. Ob es Chers „If I Could Turn Back Time“, Roberta Flacks
“First Time Ever I Saw Your Face”, U2’s “With Or Without You” oder
“Bring Him Home” aus „Les Miserables” – Evans beweist sich als
vielseitiger Sänger voller Leidenschaft und Können. Sein kraftvoller
Tenor und die herrliche Instrumentierung des Royal Philharmonic
Orchestra spiegeln seine lebenslange Liebe zur Musik wider.
„Da ich in den letzten zehn Jahren nur Filme gedreht habe, ist es
verständlich, dass die Leute eine Weile gebraucht haben, um zu erkennen,
dass Musik das ist, was ich vor allem Anderen gemacht habe.“, lacht er.
„Gib mir ein Mikrofon oder eine Bühne und ich werde singen!“
Nach dem Auftritt für die Queen begann Evans, mit verschiedenen Labels
zu sprechen. Als Visitenkarte nahm er mit seinen Produzenten drei Tracks
auf, die für eine EP geplant waren. Beim ersten Song handelte es sich
um „Say You Love Me“ von Jessie Ware. „Sie ist ein außergewöhnliches
Talent und eine brillante Songschreiberin. Mit ihren Liedern habe ich
mich emotional schon immer sehr verbunden gefühlt.“, schwärmt er.
Als zweiten Track wählte er Pat Benetars „Love Is A Battlefield“. Evans
wollte jedoch nicht einfach nur Songs covern, sondern seine ganz eigenen
Werke daraus schaffen. So wurde aus der aufgeladenen Rockhymne aus den
80er Jahren ein langsameres, offeneres und gleichmäßigeres Stück mit
einem starken Beat. „Wenn Du etwas verlangsamst, hörst Du die Worte auf
eine andere Art und Weise. Ich fand das Lied schon immer sehr kraftvoll
und ergreifend und das Thema ist nach wie vor aktuell und relevant:
Liebe in all ihren verschiedenen Inkarnationen ist schwer zu finden, zu
halten und zu verarbeiten.“
Der letzte Song für das Demo ist ein Stück, dessen Melodie fest in
seinem Kopf und Herzen verankert ist, seit er zwölf Jahre alt war. „Ich
kaufte immer CDs im Woolworth in meiner Heimatstadt Aberbargnoed in
Südwales. Ich wühlte wieder einmal im Schnäppchenregal und hielt
plötzlich das Album „Killing Me Softly“ von Roberta Flack in der Hand.
Ich besitze diese CD noch heute. Der erste Track auf dem Album ist
„First Time Ever I Saw Your Face”. Als ich ihn zum ersten Mal hörte,
traf er mich mitten ins Herz und dort ist er bis heute geblieben. Ich
habe mich sofort mit ihrer Phrasierung, ihrer Emotion und dieser
absoluten Reinheit identifizieren können. Heute, 28 Jahre später, liebe
ich diesen Song noch immer, ich singe ihn a capella an Geburtstagen,
Hochzeiten, sogar Beerdigungen.
Einmal performte ich ihn auch bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung: ein
Typ bot mir am Esstisch zehn Riesen an, wenn ich den Song an Ort und
Stelle singen würde. Der Auktionator sah mich skeptisch an und meinte
‚Das ist ein großes Lied! Mach es nicht kaputt, sonst verdirbst Du den
ganzen Abend.‘“ Evans lacht erneut. „Es endete schließlich in tosendem
Applaus.“
Die drei Demos waren so stark, dass die Idee einer EP zugunsten eines
kompletten Albums verworfen wurde. Evans und sein Team arbeiteten dafür n
den Trevor Horn Sarm Studios im Westen Londons.
.
„Auf dem Album habe ich sehr bekannte Stücke neu interpretiert.“,
erklärt der 40-jährige. „Wir haben nach Songs gesucht, die wir auf das
Wesentliche reduzieren und ihnen dann neue Arrangements hinzufügen
konnten. Wir wollten eine Pop-Hymne oder Powerballade aus den Achtzigern
in etwas Akustisches, Intimes verwandeln, ohne dabei die Essenz des
Originals zu verlieren. ‚With Or Without You‘ ist das perfekte Beispiel
dafür.“ Evans Stimme wird dabei von einem großen Chor unterstüzt.
„Ich habe aber auch schon immer gerne Songs von Frauen gesungen. Daher
suchten wir gezielt nach Tracks, die sowohl textlich zu mir, als auch zu
meiner Tenorstimme passten.“ Und so ist auf dem Album auch einer von
Chers größten Popklassikern zu hören: „Wenn Du Dich bei ‚If I Could Turn
Back Time“ nur auf Diane Warrens Text konzentrierst, dann geht es
plötzlich nicht mehr um Cher in einem Fischnetz-Strampler auf einem
Schlachtschiff zwischen einem Haufen Seemänner. Es geht um Reue, Verlust
und den Wunsch, die Zeit zurückzudrehen und die Vergangenheit ändern zu
können. Es wird zu einem emotionalen und herzzerreißenden Lied.“
Aus derselben Zeit stammt auch „Show Me Heaven“, das im Original von der
herausragenden Maria McKee gesungen wurde. „Bei einigen Songs wollte
ich einfach nur das Original ehren.“, gibt er zu. „Bei ‚Show Me Heaven‘
musst diesen unglaublichen Refrain einfach herausschmettern. Das ist ein
magischer Moment der Achtziger.“
Es folgt eines der ganz großen Stücke der Musicalwelt, „Bring Him Home“
aus „Les Misérables“. Warum genau dieser Song aus diesem Musical?
„Verrückterweise habe ich in diesem Stück nie mitgespielt, aber ich habe
ja auch noch Zeit. Ich muss ja erst mal so alt werden wie Jean
Valjean.“, grinst er. „Ich habe den Song beim Aufnahmetest für das
Musical-Theater-College gesungen. Eigentlich war ich für dieses Stück
viel zu jung, aber ich hatte wohl diese lyrische, leichte Stimme. Ich
sang es auch bei der Beerdigung des besten Freundes meines Großvaters.
Es ist ein wunderschönes und besonderes Lied, das davon erzählt,
jemanden aus dem Krieg heimzubringen und zu beschützen. Ich wollte
bewusst kein Musicaltheater-Album machen, doch ich weiß auch, dass viele
meiner Fans es lieben, wenn ich dieses Genre singe. Also wählte ich
genau diesen einen Song aus und ich hoffe sehr, dass er ihnen gefällt.“
„At Last“, der Titeltrack des Albums, ist der Jazzstandard der
unvergleichlichen Etta James. Ein gewagtes Unterfangen, oder? “Ich habe
gewiss nicht versucht, besser als Etta zu singen.“, antwortet Evans mit
einem Lächeln. „Wenn Du einen ihrer Standards coverst, singst Du nicht
irgendwas, Du singst einfach. Du legst Dich mit „At Last“ gar nicht erst
an. Es geht nur darum, sich in diesem Arrangement zurückzulehnen und
für sich selbst zu singen.
Luke Evans nahm das Album Anfang des Jahres auf, während er parallel die
zweite Staffel von „The Alienist“ in Budapest drehte. Freitags flog er
nach Großbritannien zurück, nahm das ganze Wochenende auf und war am
Montagmorgen pünktlich zum Frühstück wieder in Ungarn. „Es war
anstrengend.“, gibt er zu. „Eines Tages nahmen wir vier Songs auf. Und
keiner von ihnen ist leicht zu singen, sie sind sehr anspruchsvoll. Doch
ich wurde im Musicaltheater ausgebildet und diese Schauspieler sind die
am härtesten arbeitenden Leute in der Branche. Sie machen das achtmal
pro Woche, brauchen eine haargenaue Konstanz in ihrer Stimme und singen
jeden Abend zwölf bis 15 Lieder. Also musste ich mich an diese
Ausbildung erinnern, meinen Hals warmhalten, auf meine Stimme achten und
es durchziehen. Doch ich liebte es. Ich singe lieber als zu reden. Wenn
ich nur durch das Singen kommunizieren könnte, würde ich es tun.“
Und das alles vor dem Hintergrund eines weiteren hektischen Drehplans.
Evans wird bald wieder im Kino in „Midway“ zu sehen sein. In dem Film
unter der Regie von Roland Emmerich, der auf einer wahren Begebenheit
basiert, spielt er einen US-Navy-Fliegerhelden im Zweiten Weltkrieg.
„Dieses Jahr war das abwechslungsreichste, anspruchsvollste und
geschäftigste Jahr, dass ich je hatte.“, beklagt er sich kichernd. „Doch
ich kann nach einem Job sehr gut abschalten. Ich habe viel Energie und
Konzentration und ich mag die Vielfalt. Ich habe die Möglichkeit, von
einem Epos über eine Schlacht im Zweiten Weltkrieg zu einem Film mit
Gary Oldman über die Pharmakonzerne in Amerika zu wechseln und mich dann
wieder auf „The Alienist“ in New York City von 1890 zu konzentrieren.
Für mich ist das wie ein Traum, der die Schönheit und Freude ausmacht,
Schauspieler, Performer und Entertainer zu sein. Ich erkenne mich in all
diesen Dingen wieder, auch in meinem Album.“
„At Last“ ist Evans Herzensprojekt und seine Leidenschaft dafür ist
offenkundig auf diesen zwölf atemberaubenden Tracks zu hören. In ihnen
steckt Leben. „Ich bin ein Sänger.“, sagt er. „Ich möchte, dass die
Leute meine Stimme hören, die Vielseitigkeit und die Farben, die ich
einem Klassiker verleihen kann. Und es ist ein sehr persönliches Album
für mich. Ich habe die Songs nicht nur ausgewählt, weil sie gut klingen,
sondern auch, weil sie eine Botschaft in ihnen mitschwingt.“
Durch sein internationales Engagement konnte er seine Heimat Wales in
letzter Zeit nur selten besuchen. „Meine Großeltern mütterlicherseits
leben noch, doch sie werden alt und meine Großmutter leidet an
Alzheimer. Ich konnte ihr mein Album jedoch vorspielen, da uns meine
Mutter über FaceTime verbunden hat, und in diesem Moment wurde sie
wieder lebendig. Am Ende sagte sie zu meiner Mutter ‚Er ist ein Engel,
der sich entschieden hat, auf der Erde zu bleiben.‘. Oh mein Gott, wie
sehr ich geweint habe!“, ruft er. „Manchmal muss man sich einfach daran
erinnern, warum und für wen man Dinge tut und was sie bedeuten könnten.
Und meine Großmutter hat mich daran erinnert.“