Achim Reichel News

Er wird gern „Ur-Vater des deutschen Rock“ genannt. Dabei hat sich Achim
Reichel diesen Titel nicht ausgesucht. Er wurde ihm von Kritikern
verliehen, zum Beispiel von denen der „Nordwest Zeitung“. Mit gutem
Grund: Als andere große deutsche Rockmusiker anfingen Klubs und
Konzertbühnen zu erobern, hatte Reichel bereits seine erste Karriere
hinter sich. Als Frontmann der Hamburger „Rattles“ spielte er zwischen
1960 und 1966, zu Zeiten des legendären „Star-Club“, an die 30 Singles
ein, die Hamburger Jungs tourten schon 1963 zusammen mit den damals noch
weniger bekannten „Rolling Stones“ durch England und begleiteten die
weltberühmten „Beatles“ 1966 auf deren einziger Deutschland-Tournee.
Nach seiner Einberufung zur Bundeswehr folgten dann die Hits mit
„Wonderland“.

Achim Reichel war ein Rebell, ein 68er und Aufbegehrender, aber auf
seine ganz eigene Art. „Politisches Lied muss nicht immer Parolen-Singen
bedeuten“, sagt er, „der Sound einer Musik ist auch eine Haltung, der
Sound kann auch unangepasst sein“.  Wie sehr, das bewies er, als er 1971
erstmals mit elektronischen und psychedelischen Klängen experimentierte
und sich mit A. R. & Machines auf eine „Grüne Reise“ begab, die von
den Hippies erst viel später entdeckt wurde. Er war wieder mal seiner
Zeit voraus: „Die Musik war wirklich innovativ, sie kam nur viel zu früh
und im falschen Land“. Aber sie setzte Trends, von denen Bands wie
„Kraftwerk“ oder „Tangerine Dream“ später profitierten und ihn über 45
Jahre später in den ausverkauften Großen Saal des neuen Hamburger
Kulturtempels, die Elbphilharmonie, führte. Reichel will diese Zeit
nicht missen, aber sie kommt ihm „manchmal vor wie das Leben vor dem
Leben“, sagt er.

Sein Leben danach begann in seiner ganz eigenen rockmusikalischen
Zeitrechnung 1975 mit seinem ersten deutschsprachigen Album. Jetzt ist
er der Hamburger Jung 75 Jahre alt. „Zwei Mal 75“, wie er das
schmunzelnd nennt. Zeit für eine Bilanz und vielleicht auch eine Zäsur?
Zumindest für einen Rückblick, für ein „Best Of“ dieser
Schaffensperiode, die sich am besten nicht in Jahren, sondern in Alben
bemessen lässt: 22 Alben verrockter Seemannslieder, deutscher Lyrik und
Prosa, altgermanischer Balladen, Volkslieder und poetischer
Alltagsgeschichten, typisch Achim. 37 Titel daraus, auf Vinyl und CD
gepresst, präsentiert er als eine Art Werkschau dieses Musiker-Lebens,
mit dem er zu sich selbst fand: Neu gemastert, und nicht nur im Studio
eingespielt, denn Live-Aufnahmen seien „noch mal eine ganz andere
Realität“. Die können seine Fans gleich doppelt erleben – ab Oktober
geht er mit diesen Best Of-Songs auf musikalische Erlebnisreise und
große Deutschland-Tournee. Passend dazu schreibt er an seiner
Biographie, denn er hat was zu erzählen.

Zum Beispiel über „Dat Shanty Alb’m“, das scheinbar nahezu zwangsläufig
den Auftakt zu seiner Deutschrock-Karriere machte. Vater, Großvater,
Onkel, alle waren sie zur See gefahren. Achim Reichel war auf St. Pauli
am Hamburger Hafen groß geworden, von wo er den Schiffen beim Ein- und
Auslaufen zuschaute und den Hafenarbeiten beim Löschen zuhörte. Und da
fielen sie ihm auf, die Arbeitslieder der Docker und Seemänner, die nur
darauf warteten zeitgemäß zu Rhythm & Blues gewandelt zu werden. Der
„SPIEGEL“ jubelte damals, die Seemannslieder klängen „so natürlich und
unprätentiös, als hätten sie schon immer diesen Beat“  gehabt und nannte
sie „Klassiker“.

Die Musik, die Achim Reichel infizierte und für die er Seefahrt Seefahrt
sein ließ und lieber zur Gitarre griff, kam aus kleinen Clubs. Er
wollte „keine Massenabfertigung“ und wehrte sich dagegen, nur
Radio-angepassten Pop liefern zu müssen. Er wollte Stilrichtungen
erproben, sich ausprobieren und vor allem nie in Schablonen pressen
lassen. Reichel ist Zeit seiner Karriere ein Suchender. Er entdeckte und
vertonte alte Lyriker der Seefahrerromantik wie Detlev von Liliencron,
er entstaubte große deutschen Dichter und Prosaisten und erweckte sie zu
neuem Leben. Fontanes “Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ oder
Goethes „Zauberlehrling“ kannten viele Schüler nur, weil er sie ihnen
rockig mundgerecht servierte. Für Reichel sind das ‘Wortmagier‘, wie er
sagt, denen er größten Respekt zollt und die er bewundert. Er schaffte
es, lobte die „Stuttgarter Zeitung“, „unsere Dichter und Denker rocken
zu lassen, ohne dabei plump populistisch oder angestrengt schöngeistig
zu wirken“.

Wer auf der Suche ist muss manchmal auch mutig sein. Reichel wagte sich
an altdeutsche Volkslieder von Eichendorff oder Hoffmann von
Fallersleben, ließ sich auch von Bedenkenträgern nicht irritieren. Was
er sich in seinen dicken Rockschädel setzt, zieht er auch durch,
konsequent und kompromisslos. Er ignorierte Trends und will sich nicht
in angesagte Formate des Musikbusiness drücken lassen. „Format war und
ist das Zauberwort der Zeit“, sagt Reichel, „aber wer sich dem ergibt,
hat sich ergeben. Denn Schubladen sind für die Kunst tödlich“. Dass
ausgerechnet sein „Spieler“, der mit 5.30 Minuten eigentlich ganz und
gar nicht radio-tauglich war, ihn später in die ZDF-Hitparade brachte,
wirkt fast schon wie ein Betriebsunfall.

„Der Spieler“, getextet von Jörg Fauser, markiert den nächsten Abschnitt
seines Weges, der nur konsequent war: Die Zusammenarbeit mit  neuen,
jungen deutschen Dichtern wie Kiev Stingl, Peter Paul Zahl und vor allem
Fauser, der zu einem Freund wurde und bei einem Autounfall viel zu früh
starb. Fauser und Reichel waren sich besonders nah, wie Brüder im
Geiste. Bei dem fast gleichaltrigen Underground-Autor konnte er sein
„Temperament und Naturell in den Texten wiederfinden“, sagt er.

Der spätere Kultsong vom „Boxer Kutte“, den Fauser irgendwo im wahren
Berliner Leben tatsächlich aufgetan hatte, war so etwas wie eine nächste
Zäsur. Als sie an der Strophe „Boxer gehen in die Knie“ über der
nächsten Liedzeile grübelten und Achim die Zeile „blaue Augen zahlen
drauf“ einfiel, sagte Fauser zu ihm, als hätte er sein Schicksal voraus
geahnt: Jetzt bist du soweit allein zu gehen. „Jörg Fauser hat mich als
Lyriker das Laufen gelernt“, sagt Achim Reichel heute rückblickend.
Nicht nur dafür ist er ihm dankbar.

Mit „Melancholie und Sturmflut“ schrieb Reichel sein erfolgreichstes
Album, inklusive der Kultsongs „Auf der Rolltreppe“, „Kuddel-Daddel-Du“
und vor allem „Aloha Heja He“ – der zuvor zehn Jahre lang vergessen in
einem Umzugskarton darauf gewartet hatte, wiederentdeckt zu werden. Es
folgten Balladen und poetische Alltagsgeschichten, wie sie nur das echte
Leben schreiben kann. Und immer wieder diese wortgewaltigen
Prosa-Erzählungen und Mythen großer Literaten von Heine, Storm und
Mörike bis Goethe oder Ina Seidel wie bei der „Regenballade“ oder
‘Wilder Wassermann“.

Das Goethe-Institut schickte Achim Reichel 1986, noch zusammen mit Jörg
Fauser, deshalb als Kulturbotschafter der besonderen Art nach Ost-Asien.
Die „Süddeutsche Zeitung“ taufte ihn „Kolumbus der Rockmusik“, ein
Entdecker auf dem Weg zu immer neuen Ufern und Stilrichtungen. Achim
Reichel selbst sagt: „Ich fühle mich wie für die Musik geboren, habe
aber auch irre viel Glück gehabt und manchmal frage ich mich: Wo soll
ich eigentlich meine Kerze aufstellen“.

Ein Blick zurück als weitere Zäsur? Das war auch schon seine Tour als
„Storyteller“ durch 100 Städte. Also jetzt, mit 75, das Ende von etwas
Großem? Reichel wäre nicht der ewig unangepasste Musiker und Songwriter,
wenn er es sich mit der Antwort auf diese Frage einfach machen würde.
„Wenn man eine gewisse Müdigkeit spürt, altersbedingt, muss man wieder
Hunger kriegen“, sagt er. Aber der Appetit bekommt bekanntlich beim
Essen. Also vielleicht auf einer Tournee?

Manfred Ertel, Autor

Tourneedaten 2019

23. Okt 2019 Flensburg – Deutsches Haus

24. Okt 2019 Lübeck – Muk

26. Okt 2019 Berlin – Admiralspalast

28. Okt 2019 Hannover – Theater Am Aegi

29. Okt 2019 Hamburg – Laeiszhalle

31. Okt 2019 Dresden – Alter Schlachthof

01. Nov 2019 Husum – Kongresszentrum

02. Nov 2019 Oldenburg – Kulturetage

04. Nov 2019 Bremen – Glocke

05. Nov 2019 Braunschweig – Stadthalle

06. Nov 2019 Osnabrück – Rosenhof

08. Nov 2019 Mannheim – Musensaal

09. Nov 2019 Mainz – Frankfurter Hof

11. Nov 2019 Essen – Lichtburg

12. Nov 2019 Köln – Gloria

13. Nov 2019 Nürnberg – Hirsch

15. Nov 2019 Leipzig – Haus Auensee

16. Nov 2019 Düsseldorf – Savoy

17. Nov 2019 Bielefeld – Ringlokschuppen

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